Flexibles Arbeiten:
Der Einfluss persönlicher Kontakte auf die Produktivität
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Manche wollen nie wieder zurück, andere vermissen es: das gute alte Büro. Ist das ein Anflug von Nostalgie, oder sollen wir schon die Tage zählen, bis wir zurückkehren können. Architektin und Wissenschaftlerin Dr. Kerstin Sailer erklärt, was den Menschen zuhause fehlt.
Die Covid-19-Pandemie hat unsere Arbeitsweise grundlegend verändert. Wir sind mit wenig Vorbereitung in ein weltweites Experiment voll von mobiler Arbeit gestürzt worden. Ob es uns gefällt oder nicht. Es war natürlich eine Herausforderung, aber wir haben auch das Schöne am Homeoffice entdeckt – selbst die Arbeitszeit wählen zu können, einen kürzeren Arbeitsweg oder mehr Zeit mit unseren Familien zu haben.
Zunehmend beginnen jedoch viele Menschen, ein intensives Gefühl des Verlusts zu empfinden. Unsere Anwesenheit im Büro hat für uns offenbar mehr bedeutet, als nur einen Ort zu haben, an dem wir unsere Arbeit erledigen können. Die Pandemie hat uns daher dazu inspiriert, darüber nachzudenken, was uns das Büro in der Vergangenheit gegeben hat – damit wir lernen und uns überlegen, wie wir in Zukunft arbeiten wollen.
Natürlich können wir Videoanrufe einplanen, aber sie können nur ein schlechter Ersatz für die informellen, alltäglichen Begegnungen und die Geselligkeit sein, die das Büro ermöglicht.
Eng damit verbunden ist das fehlende Gemeinschaftsgefühl. Der Gesang von Balkonen in Italien oder das Klatschen der britischen NHS-Mitarbeiter gibt uns kurze Einblicke in ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Aber diese Momente sind nicht von Dauer. Wir sehnen uns danach, über die kleine Welt unserer Haushalte hinaus mit anderen zusammen zu sein. Für Neueinsteiger ist es besonders schwierig, ein Gefühl für die Kultur einer Organisation zu bekommen. Nachwuchskräfte können etwa eingeschüchtert sein, ihre Vorgesetzten unangekündigt anzurufen. Sie vermissen das, was oft als „ein Freund bei der Arbeit“ bezeichnet wird – ein wichtiger Anker für unser Zugehörigkeitsgefühl.
Auch unsere Arbeitspraktiken haben sich geändert, denn die mobile Arbeit hat sich hin zu mehr transaktionalem Verhalten entwickelt. Um unsere Arbeit zu erledigen, strukturieren wir Ideen im Voraus, verteilen Schreibarbeit, planen Treffen und vereinbaren Wege nach vorn. Dies hat jedoch ernsthafte Auswirkungen auf unsere Leistung bei komplexeren und unklar definierten Aufgaben.
Software-Ingenieure haben zum Beispiel berichtet, dass es schwieriger ist, sich bei der Arbeit an kniffligen Problemen mit anderen zu beraten, wenn unklar ist, welche Kollegen genau zu einer Lösung beitragen könnten. Dies gilt branchenübergreifend für Aufgaben, die das Erkennen und Lösen von Problemen erfordern, die plötzlich viel schwieriger zu erfüllen sind. Dasselbe betrifft kreative Aufgaben und das Generieren neuer Ideen, bei denen der unstrukturierte Beitrag anderer entscheidend sein kann.
Ebenso ist es in der Zeit von mobiler Arbeit schwieriger geworden, Antworten von Managern und anderen leitenden Kollegen mit vollen Terminkalendern zu erhalten. Wo es früher vielleicht eine gute Abkürzung war, vor oder nach einem persönlichen Treffen den Kopf durch die Tür von jemandem zu stecken oder ihn schnell zu erwischen, gibt es diese Möglichkeiten jetzt nicht mehr.
Auch das Lösen von Konflikten oder das Führen von heiklen Gesprächen ist etwas, das unter dem mobilen Arbeiten leidet. Es ist viel schwieriger, „den Raum zu lesen“, wenn man online ist. Wenn man schwierige Diskussionen vor sich hat, z.B. über Leistungen oder drängende Termine, kann uns schmerzlich bewusst werden, dass Videoanrufe nicht wirklich die dringend benötigte menschliche Note zulassen, um diese Gespräche erträglicher zu machen.
Wenn wir uns dieser Verluste bewusst werden und verstehen, dass es vor allem die informellen und scheinbar folgenlosen Interaktionen sind, die wir vermissen, können wir den zukünftigen Arbeitsplatz als sozialen Knotenpunkt für sinnvolle Begegnungen neu überdenken.
Im Internet Bürogeräusche zu streamen oder die Rückkehr ins Büro zu planen, nur um sich dort zu distanzieren und zu desinfizieren, wird unser menschliches, unbestreitbares Bedürfnis nach sozialer Verbindung und Gemeinschaft nicht lösen.
Was also können Organisationen, die wieder zur Präsenzarbeit zurückkehren, tun? Abgesehen davon, dass sie denjenigen, die aus welchen Gründen auch immer am dringendsten auf eine Rückkehr ins Büro angewiesen sind, einen sicheren Weg dafür ermöglichen, sollten Organisationen das Büro in erster Linie als einen Ort der Begegnung betrachten.
Solange Abstand notwendig ist, werden nicht alle gleichzeitig zurückkommen können, so dass wahrscheinlich eine Art Rotations- oder Schichtmuster erforderlich sein wird. Die Zusammenstellung von Teams und die Zuweisung von Kollegen aus verschiedenen Abteilungen und mit unterschiedlichen Hintergründen könnte dazu beitragen, das Unerwartete zu regenerieren. Interaktionen innerhalb der Teams würden nach wie vor aus der Ferne stattfinden, während das Büro seine Magie entfalten und Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten und Erfahrungen zusammenbringen könnte, um Kreativität, Innovation und einen Sinn für einen umfassenderen Zweck zu fördern.
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